Man muss sich schämen. Da ruft die halbe Welt das "New Golden Age of Television" aus - und wir in Deutschland reden allen Ernstes über Manipulationen von aberwitzigen Rankingshows. Erst muss das ZDF nach einigem Hin und Her zähneknirschend zugeben, dass die Deutschen Peter Kloeppel besser finden als Claus Kleber, und nun haben binnen weniger Tage NDR, WDR, RBB und hr auch Verzerrungen in ihren Rankingshows eingestanden. Die sind teils so absurd, dass man sich fragt, wie so etwas überhaupt auf Sendung gehen konnte. Wer hätte gedacht, dass selbst bei der Suche nach den "spannendsten Brücken" gemauschelt wird?
Um das Ausmaß der Peinlichkeit zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, welch breiten Raum Sendungen wie diese in den Dritten inzwischen einnehmen. Alleine das WDR Fernsehen hat seit 2008 bislang 111 Hitlisten-Sendungen ausgestrahlt, von Wiederholungen ganz zu schweigen. Der NDR erstellt von vielen seiner Ranking-Formate sogar gleich zwei Versionen - je nachdem welches Programm-Loch gerade gestopft werden muss, kann wahlweise auf eine 45- oder 90-minütige Version zurückgegriffen werden. In den letzten drei Jahren hat man es auf diese Weise inklusive Wiederholungen auf stattliche 212 Ausstrahlungen gebracht. Will heißen: Im Schnitt gibt's im NDR etwa alle fünf Tage ein Ranking.
Dass dabei Quantität schon längst vor Qualität geht, ist angesichts der immer hanbeücheneren Themen schon längst kein Geheimnis mehr. Skurril wird es etwa, wenn der NDR seine Zuschauer über Trecker oder gar "die spannendsten Seen" abstimmen lässt, oder der WDR nach den "beliebtesten Bauernhöfen der Nordrhein-Westfalen" sucht. Solche Sendungen sind also offenbar so billig zu produzieren, dass die Dritten sie selbst dann noch fortsetzen, wenn eigentlich selbst dem Letzten dämmern müsste, dass nun wirklich keine vernünftigen Themen mehr vorhanden sind.
Wie egal den Redaktionen ihre Rankingshows sind, lässt sich alleine schon daran erkennen, dass der NDR in der Vergangenheit einzelne Ranglisten veränderte, nur weil zu wenig Bildmaterial vorlag. Auf die Idee, einfach mal mit der Kamera rauszugehen, kam bei den Nordlichtern offenbar niemand. Nein, ernsthaft werden die Rankingshows schon lange nicht mehr betrieben. Nur folgerichtig: Die Sendungen sind den meisten Zuschauern mittlerweile mindestens so egal wie ihren Machern. Einzelne Vorschläge für die "Hitlisten des Westens" erhielten nicht mal eine einzige Stimme und manche Online-Umfrage kam auf so wenige Klicks, dass nachträglich eine richtige Umfrage bei einem Institut in Auftrag gegeben werden musste.
Die Überraschung muss wahrlich groß gewesen sein beim WDR, als man feststellte, dass sich nahezu niemand für "Die unheimlichsten Orte" oder "Die beliebtesten Talsperren" interessierte. Das erschütterndste an den nun bekannt gewordenen Ranking-Schummeleien ist also nicht, dass sich die Redaktionen bei vereinzelten, kaum an Irrelevanz zu überbietenden Abstimmungen über das Publikum hinwegsetzten, sondern dass Shows überhaupt auf Sendung geschickt wurden, für deren Abstimmung gerade mal eine Hand voll Menschen zu gewinnen war.
Sicher: Ranking-Formate sind billig zu produzieren, weil die Sender überwiegend auf ohnehin schon vorliegendes Material zurückgreifen - und dem Publikum zumindest in den meisten Fällen ein regionaler Bezug vorgegaukelt werden kann. Vorausgesetzt, man lässt nicht - wie der WDR es tat - allen Ernstes über "Die beliebtesten Tänze der Nordrhein-Westfalen" abstimmen. In diesem speziellen Fall erhielten übrigens Charleston, Step und Limbo keine Stimme, sodass die Redaktion auf einen - so wörtlich - "Expertenrat" setzte. Wie der aussah, erklärte der WDR auf DWDL.de-Nachfrage wie folgt: "Die Redaktion hat verschiedene Fachredaktionen aus dem Bereich Tanzsport zu Rate gezogen. Weiterhin erfolgten Recherchen bei verschiedenen Tanzschulen vor Ort." Aha.
Wie wurscht kann einem das eigene Programm sein, wenn trotzdem immer und immer wieder neue Quatsch-Umfragen zum Klicken freigegeben werden? Da passt es gut ins Bild, dass WDR und NDR selbst jetzt nicht an eine Einstellung ihrer Rankingshows denken, sondern allenfalls die Methode überarbeiten möchten. Vermutlich wird also künftig in der Redaktion per Handzeichen über die spannendsten Tümpel abgestimmt. Und so stellt sich die Frage, ob tatsächlich keine neuen Ideen vorhanden sind, um Regionales unterhaltsam zu verpacken. Aber Halt! Vielleicht gäbe es ja welche, wenn sich die Redakteure in den Sendeanstalten nicht regelmäßig damit befassen müssten, einzelne Rankings nachträglich zu verändern.